Uhrwerk Rotwild  
trotz verschiedener Arbeitsgebiete ist Lars Henkels Stil immer erkennbar

von Richard Rabensaat

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In Nebelwelten schweben Baumstämme durch die Luft. Das uhrwerkfeine Innenleben amputierter Hirsche wird durch die gläserne Haut des Rotwildes sichtbar. Horizonte verschwimmen im Unbestimmten.

Lars Henkel kreiert Traumlandschaften. Der Illustrator ist nicht nur einfach ein brillanter Zeichner. Er entwirft mit seinen Zeichnungen ein fantastisches Panorama, in dem alptraumhafte Kulissen sich mit wundersamen Geschichten von Raben und Flickenköniginnen verweben. Schwebende Gestalten mit offen liegenden Muskelsträngen begegnen sich mit spitzigen Zungen als wollten sie einander durchbohren. Die ziselierten Wesen mit gereckten Hälsen und verdrehten Körpern in Henkels Zeichnungen erzählen melancholische Geschichten aus Märchenwelten. Aber sie taugen auch für die Gebrauchsgrafik, wie ein Trailer zeigt, den Henkel für die ARD entwarf. Auch Tageszeitungen und Magazine wurden auf den Illustrator aufmerksam. Mühelos wechselt Henkel zwischen den verschiedenen Genres.

Webdesign, Film, Zeichnung und Entwürfe von TV-Trailern gehören zu seinem Arbeitsspektrum. Dass Henkel die verschiedenen Disziplinen souverän handhabt, verdankt er einer Ausbildung, die ihn von einem Studium der visuellen Kommunikation an der Fachhochschule Aachen zu einem Postgraduiertenstudium an der Kunsthochschule für Medien in Köln führte.

Wichtig ist es ihm, sich nicht vollkommen von der Auftragsproduktion absorbieren zu lassen, denn: „Ich will auch meine eigenen Projekte verfolgen“. Mit großer Sorgfalt entwickelt er seine zwischen den Disziplinen changierenden Szenarios. Die einmal geschaffenen Figuren lässt Henkel dabei nicht so schnell wieder fallen. So findet sich die Flickenkönigin sowohl in einem Animationsfilm, wie auch auf der Website von Meret Becker.

„Im Endeffekt wird man für einen bestimmten Stil gebucht“, stellt Henkel fest. Es komme auf den Look an. Die ganz eigene Erscheinung ist sein Markenzeichen. Mechanistische Wesen agieren vor sparsamen Kulissen. Eine gedämpfte, oft auf ein mattes Beige reduzierte Farbigkeit macht traumhafte Szenen schwer entzifferbar. Geflügelte Gestalten und Zwitterwesen aus Mensch, Tier und Automat bevölkern Zeichnungen und Filme. Entworfen mit spitzigem Strich verharren die Wesen in statuarischen Posen, sind aber immer als Schöpfungen Henkels erkennbar.

Das Traumhafte, die ungewissen Welten, sich auflösende Welterklärungsmodelle - das alles erinnert an den Manierismus mit seinen Wunderwelten und Untergangsszenarios. Ist die Welt heute durch Terroranschläge und die dräuenden Klimakatastrophe verunsichert, so sah sie sich auch damals, im 16 Jahrhundert, Erschütterungen ausgesetzt, die die Menschen nicht verstanden. Mit der Entdeckung ferner Kontinente und dem Bröckeln eines Jahrhunderte alten Welt- Glaubensgebäudes wankte der Boden, auf dem Gesellschaft und Kunst standen. Diese tiefe Verunsicherung drückte der Kunst ihren Stempel auf. Es entstanden labyrinthische Bilderwelten und apokalyptische Höllenstürze, an die Henkels heutige Szenarios erinnern. 

Die kleinköpfigen Pferde Parmigianninos stehen Henkels Hirschen vielleicht ebenso nahe wie die durch die Lüfte
trudelnden Körper Hendrick Goltzius, auch wenn Henkels Figuren unendlich viel feingliedriger daher kommen.
Aber weniger die Lust am Untergang als vielmehr eine unbestimmte Melancholie scheint der innere Antrieb
des Zeichners zu sein. Dabei sind Bezüge zu Arbeiten von Floria Sigismondi oder ParkeHarrison erkennbar. Das Figurenensemble Henkels scheint sich gelegentlich gegenseitig die vorschießenden spitzigen Gliedmaßen in die Leiber rammen zu wollen. Wie bei ParkeHarrison kämpfen Protagonisten mit dem gestaltlosen Nichts und drohen in der vagen Landschaft zu verschwinden. Sigismondis düstere Figuren sind häufig nicht weniger bedroht als Henkels Tag- und Nachtwesen.

Dabei zeichnet Henkel eine Szene zumeist nicht nur. Er entwirft Geschichten. Das Interesse an der Narration verbindet ihn mit Filmemachern wie Tim Burton oder den Lauenstein-Brüdern, die 1990 für ihren Animationsfilm »Balance« den Oscar gewannen, oder Annette und Steffen Schäffler, die 2001 mit ihrem Film »Der Perückenmacher« für die begehrte Goldstatue nominiert wurden. Für seinen Animationsfilm »Die Flickenkönigin«, bei dem Henkel mit Meret Becker zusammen arbeitete, zeichnete ihn der Art Directors Club 2003 aus.

Darin schwebt ein Zwitterwesen zwischen Mensch und Maschine durch eine Schnittmusterwelt. Sie kommt schließlich zur Flickenkönigin, die ihr  das Herz näht, in dem zahlreiche Lieben Wunden hinterlassen haben. Der auch hier konsequent durchgehaltene Stil Henkels würde sicher auch eine längere Geschichte als die des Kurzfilms tragen. Es ist zu hoffen, dass es dem Künstler gelingt, einmal Geld für eine längere Produktion aufzutreiben.

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